vietnam. hanoi

es interessiert mich nicht, dich zu beschreiben, wie alle anderen es tun. du ehrwürdige tante hast kein französisches flair, so wie alle es sagen. die alleen erinnern mich. nein, jeder einzelne ast erinnert mich nur, wenn überhaupt, an den tod eines dichters in paris.
deine straßenkinder, die postkarten verkaufen. deine frauen, die wasserschnecken in den hinterhöfen garen und zigarretten der marke 555 verkaufen. deine männer die bis in die nacht hinein hämmern und bohren an häusern, die so nicht mehr zu retten sind. und genau dass vorführen, was im argen liegt. deine politik, korrupt und verstaubt. das diktat der weltordnung hat deine frivole schwester, unten im süden, schon fast fehlerfrei geschrieben. du, zögerliche, ehrwürdige tante bist die mutter der vorsicht, die bröckelt, spätestens früh.
onkel ho dreht sich im mausoleum einmal um die eigene achse. ich besuche ihn nicht. ich will keine toten besichtigen, ich will das leben hören. im literaturtempel, einem ahnenhaus erster ordnung leben die toten noch immer und immer weiter. in der metamorphose der zeit.
textauszug/reise/prosa/vietnam.laos.kambodscha.thailand.1997.
Reisehörbild im Freien Rundfunk Salzburg 1999. 2000 nominierung für den Radiopreis für Erwachsenenbildung.